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Pet Architecture
Hannah Koschinski

1.
Architekten sollten sich um jedermanns Heim kümmern. Denn warum sollen nur Menschen in einem schönen Haus leben? Auch Haustiere brauchen ein schönes Zuhause! Ob Hund, Katze oder Maus – jeder benötigt einen Ort zum Schlafen, Essen und Entspannen. Unter diesem Gesichtspunkt betrachtet ist es nicht verwunderlich, dass sich japanische Architekten schon genauer mit dieser Typologie auseinandergesetzt haben. Zumal fast jeder weiß, dass Japaner vor allem zwei Dinge lieben: Haustiere und gutes Design. Und wer kennt es nicht, das „No Dog, No Life" Hundehäuschen von Sou Fujimoto?!1 Außerdem kann kein anderer als ein Architekt besser auf die Bedürfnisse und Anforderungen eines Lebewesens jeglicher Art eingehen. Aber ist diese Vorstellung wirklich das, was sich hinter dem Begriff Pet Architecture verbirgt? Architektur für Haustiere?

2.
Welche Tiere bezeichnet man überhaupt als Haustiere und was verbindet man mit ihnen? Unter dem Begriff Haustiere versteht man im allgemeinen Tiere, die bei einem wohnen. Tiere, um die man sich kümmert. Tiere, denen man Zuneigung schenkt und von denen man Zuneigung erhält. Meist sind sie klein, humorvoll und charmant und benötigen oft nur wenig Platz, um sich wohl zu fühlen. Des weiteren wirkt die Bindung zu seinem Haustier auf den Menschen psychologisch durchaus entlastend. Denn mit seinem Haustier steht man, im Vergleich zu einem anderen Menschen, niemals in direkter Konkurrenz.

3.
So zumindest beschreiben die japanische Architekten Yoshiharu Tsukamoto und Momoyo Kajima von Atelier Bow Wow die Beziehung zwischen Mensch und Haustier. In diesem Zusammenhang bemerken sie, dass die Beziehungen zwischen bestimmtem Gebäudetypen mit dieser Art von Beziehung zwischen Menschen und ihren Haustieren vergleichbar ist. Gebäude, die den beiden Architekten auffielen, während sie durch die Straßen Tokios liefen. Winzige Gebäude. Gebäude zwischen einer ein Meter großen Baulücke oder auf einem unglaublich kleinen, eher ungünstig geschnittenen oder unterteilten Grundstück, meist auf eine preiswerte Art und Weise gebaut. Diese Häuser, so empfinden sie, erzeugen eine entspannte Atmosphäre und lockern das Stadtbild auf. Allerdings unterscheiden sich diese Gebäude in Form, Größe und Breite von ihrer Umgebung.

Zu Beginn waren die Pets hauptsächlich Friseursalons, Sushibars und Restaurants, später allerdings immer mehr Wohnbauten. Man kann sie weder miteinander vergleichen, noch stehen sie in direkter Konkurrenz zu den restlichen, meist größeren und dominierenden Gebäuden.
Ob es sich um das Bebauen eines kleinen Grundstückes oder die Freifläche einer schon bebauten Fläche handelt, ändert nichts an der Tatsache, dass es sich in beiden Fällen den umliegenden Gebäuden unterordnet. Genau wie Haustiere sich den Menschen unterordnen. Schon der Name verrät, dass das Tier zum Haus gehört und das Haus, in dem es lebt, gehört wiederum zum Menschen. Das Haustier lebt unter der Obhut des Menschen, möchte es das Haus verlassen, muss erst der Mensch die Tür öffnen. Daraus kann man folgern, dass die bereits vorhandenen Gebäude für Menschen stehen und die damit verbundenen Restflächen, zu diesen Gebäuden gehören, so wie das Haustier zum Menschen. Dabei passen sich die kleineren Gebäude den größeren Gebäuden an, da sie in einer gewissen Symbiose zur Gebäudeform des schon vorhandenen Gebäudes entstehen. Sie müssen maßgefertigt werden, um sich in ihrer Umgebung einzufinden.

4.
Aus diesen Gründen beschlossen Yoshiharu Tsukamoto und Momoyo Kajima, diese Gebäude unter dem Begriff Pet Architecture zu definieren. Im Jahr 2001 veröffentlichten sie das Buch „Pet Architecture Guide- Living Spheres Vol 2“ über die verschiedenen Pets, die sie in Tokio fanden. Auf diese Weise wollten sie zeigen, wie „liebenswerte Haustiere“ , also kleine in Restflächen eingepasste Gebäude, die Stadt erst wohnlich machen und veranschaulichten damit das Bebauen von den besonders im Raum Tokio sehr kleinen und oft verschachtelten Grundstücken.2 Ob dieser leicht irreführende, aber eigentlich ganz lustige Name für die beschriebene Art von Architektur passend ist, möchte ich nicht beurteilen. Fantasievoll ist er auf alle Fälle. Genauso fantasievoll wie die Pets, die man zwischen all den Wolkenkratzern entdecken kann. Und fantasievoll muss man in Japan sein, denn jeder weiß, dass es in Japan alles gibt – nur kein Platz. Daher muss in Japan auch immer das geringste Potenzial eines noch so kleinen Raumes bestmöglich genutzt werden, um bestehenden Raum zu optimieren. Die Idee der Pet Architecture zeigt, dass Not tatsächlich erfinderisch macht.

5.
Das Problem des Platzmangels versucht man in Japan schon seit mehreren Jahrzehnten in den Griff zu bekommen. War nach dem Zweiten Weltkrieg ein großer Teil Japans und damit auch Tokios zunächst zerstört, explodierte die Anzahl der Einwohner Tokios zwischen 1945 und 1960 gewaltig. Sie stieg von 3,5 Millionen auf 9,5 Millionen Einwohner. Schon damals zeigte sich: Die Tendenz war weiterhin steigend. Heute wohnen über 37 Millionen Einwohner im Großraum Tokio.3 Die Probleme waren schon damals wie heute neben der Angst vor Erdbeben und Tsunamis vor allem der zunehmende Platzmangel.

Nicht nur, aber auch aus diesen Gründen schloss sich 1959 eine Gruppe japanischer Architekten zusammen, die sich die Metabolisten nannten, um neue architektonische und städtebauliche Konzepte zu entwickeln. Ihre Ideen basierten auf Flexibilität und Wandel, um sich so den veränderbaren Bedürfnissen stets anpassen zu können(Pop-up-Architektur, Abs. 7). Es entstanden in dieser Zeit viele Visionen, von denen allerdings nur die Wenigsten umgesetzt wurden. Einer der Gründe dafür war die Ölkrise 1974. Doch Japan erholte sich schnell und das nicht nur Dank Entwicklungen im technologischen Sektor. Das Land wuchs in einer Ära der Dominanz neoliberaler, aber staatlich gesteuerten Wirtschaft rasant.4
Nun kann man sich auf Grund der Entwicklung fragen, ob man heute nicht wieder von einer Art „Neo“–Metabolismus in Japan sprechen kann? Oder doch eher von einem Metabolismus der Zwischenräume? Nicht mehr der Kern, sondern der bebaubare Zwischenraum, die einzelnen Parzellen, symbolisieren den Stoffwechsel der Stadt. Häuser oder anders gesagt die Pets stellen das Veränderliche dar! Dabei handelt es sich um ein selbst regulierendes und somit höchst nachhaltiges System auf meist kleinem Raum.5

6.
Und wie sieht es in Europa aus? Könnte man dort auch von einer Art Metabolismus oder Pets sprechen? Denn auch in vielen europäischen Länder sind steigende Mietpreise, akuter Wohnungsmangel und der Wunsch in Ballungsgebieten zu leben und zu arbeiten bekannt. Doch Bauflächen werden am liebsten an private Investoren übergeben, die Luxuswohnungen planen wolle. Nicht nur deshalb gibt es auch in europäischen Ländern den Trend zum Bauen auf kleinem (Zwischen-) Raum.

7.
Wie sieht Pet Architecture beispielsweise in Deutschland aus? Redet man überhaupt von Pets? Auf den ersten Blick wenig attraktive Bebauungsflächen erregen immer mehr Aufmerksamkeit. Denn durch das organische Wachsen einiger Städte finden sich auch hier einige Baulücken zwischen bestehenden Gebäuden oder es entstehen kleine Parzellen bei der Aufteilung eines größeren Grundstückes. Allein in Frankfurt gibt es 650 solcher Restflächen, auf denen Häuser oder eben Pets, entstehen könnten.6 Diese freien Flächen sind genau die, die schwerer zu verkaufen sind, vor allem aufgrund ihrer ungünstigen Form und Größe. Doch sind sie um einiges günstiger als vergleichsweise freistehende Grundstücke.
Durch die unzähligen Pets, die schon in Japan gebaut wurden, hat sich schon so mancher Architekt, auch im deutschen Raum, inspirieren lassen. Doch wird dann eher von einer Art der Nachverdichtung, hauptsächlich im Wohnungsbau, gesprochen, als von Pet Architecture (Nachverdichtung). Allerdings gibt es einige administrative Probleme, die manche deutsche Baulücken mit sich bringen. Nicht selten dienen sie als Erschließung zum Haus und Hinterhof oder es fehlt die auf beiden Seiten notwendige, vollständig geschlossene Brandwand, was zur Folge hat, dass man aus rechtlicher Sicht solche Baulücken nicht schließen darf. Abgesehen von solchen baulichen Hindernissen wird das Quartier allerdings durch das Schließen einer Baulücke aufgewertet, da Schandflächen beseitigt werden und keine weitere Infrastruktur benötigt wird.7

8.
Mit diesem Thema beschäftigte sich auch das Architekturbüro „Drexler Guinand Jauslin“ aus Frankfurt gemeinsam mit der TU Darmstadt. Sie setzen sich mit dem nachhaltigen Bauen auseinander und verfolgten das Ziel eines ganzheitlichen Ansatzes, der die ökologischen, wirtschaftlichen und kulturellen Gegebenheiten mit in die Planung einbezieht. Potenzial für die Umsetzung boten die Baulücken und Restflächen im inneren Stadtkern. So wurde das „Minimum Impact House“ in der Frankfurter Innenstadt entwickelt. Das Grundstück dieses Projektes beschränkt sich auf stolze 29 Quadratmeter in Form eines Tortenstückes. Die Restfläche entstand in den 1960er Jahren durch eine veränderte Straßenführung und blieb 40 Jahre unbebaut. Nun stellte sie ein gelungenes Beispiel dafür dar, wie man innerstädtische Nischen schließen kann. Auf vier Geschossen wurden 155 Quadratmeter Nutzfläche geschaffen. Denn die Fläche, die der Grund nicht bietet, wird durch die Höhe ausgeglichen, wenn es wie bei diesem Beispiel der Bebauungsplan zulässt.
Ähnlich wie in Japan spielte man auch hier mit verglasten Decken und Wanddurchbrüchen, um vielseitige Blickbeziehungen zwischen den Geschossen zu schaffen und die Räume großzügiger erscheinen zu lassen.8 Dies ist nur einer der wenigen Bespiele, die verdeutlichen, dass auch in Deutschland Pets durchaus ihren Besitzer finden. Man redet nur noch nicht von Pets, sondern eher von Nachverdichtung oder dem Bauen in der Lücke.
Sicherlich kann man sich fragen, ob man deutsche Pets überhaupt mit japanischen vergleichen will, wo sich doch die kulturellen und traditionellen Hintergründe, Anforderungen und Ansprüche so sehr voneinander unterscheiden? Aber spricht man nicht auch von großen und von kleinen Haustieren? Schließlich sind sowohl Wellensittiche als auch Hunde Haustiere und unterscheiden sich sowohl in ihrer Größe als auch in ihren Bedürfnissen.

9.
Zusammenfassend kann man sagen, dass der Grad der Verstädterung zunimmt. Prognosen zufolge werden 2050 siebzig Prozent der Weltbevölkerung in Städten wohnen. Die Menschen erhoffen sich dort bessere Lebensbedingungen und einen besser bezahlten Job.9 Aber sind Städte wirklich die Orte, die unbegrenzte Möglichkeiten schaffen? Breiten sich die Städte irgendwann räumlich so sehr aus, dass es nur noch Millionenstädte auf der Welt geben wird? Wo sollen die Menschen wohnen? Gibt es überhaupt genügend Arbeitsmöglichkeiten? Pet Architecture bietet eine Möglichkeit zusätzlichen Raum für Wohnen und Arbeiten, möglichst zentral, zu schaffen und Grundstücke optimal auszunutzen, egal wo.
Fraglich ist allerdings, ob sich der Begriff Pet Architecture außerhalb Japans durchsetzen wird oder ob man weiterhin eher von Nachverdichtung der Zwischenräum reden wird und mit der Bezeichnung Pet Architecture eher die von dem Designer entworfene Hundehütte, die im Garten steht, verbindet(Pop-up-architektur, Abs. 6).

1 … Vgl. Fujimoto 2012.
2 … Vgl. Tokio Institue of Technology Tsukamoto Architectural Laboratory und Atelier Bow-wow 2001, 8-9.
3 … Vgl. Weissmüller 2011.
4 … Vgl. Maack 2011.
5 … Vgl. Tsukamoto 2012, 30-31.
6 … Vgl. Jacob-Freitag
7 … Vgl. Zinecker
8 … Vgl. Jacob-Freitag
9 … Vgl. Weissmüller 2011.

Literaturverzeichnis

Fujimoto, Sou (2012), No dog, no Life!, http://architecturefordogs.com/architectures/sou-fujimoto/, in: http://architecturefordogs.com, (Stand: 24.10.2014)

Jacob-Freitag, Susanne (o.J.): Meister der Baulücke, http://www.texte-nach-mass.de/pdf/Minihaus-Meister%20der%20Bauluecke.pdf, in:
http://www.texte-nach-mass.de/pdf/Minihaus-Meister%20der%20Bauluecke.pdf, (Stand: 14.11.2014)

Maack, Benjamin (2011): Japanische Baubewegung Hausen in der Doppelhelix, Online unter:http://www.spiegel.de/einestages/japanische-baubewegung-a-947404.html, (Stand: 13.11.2014)

Tokio Institue of Technology Tsukamoto Architectural Laboratory und Atelier Bow-wow:
Pet Architecture Guide Book. Living Spheres Vol. 2, Japan 2001

Tsukamoto, Yoshiharu : Metabolismus der Zwischenräume. Neue Typologien des
Wohnens, in: ArchPlus (2012), 30-31

Weissmüller, Laura (2011): Tokio ist hoffnungslos, Online unter: http://www.sueddeutsche.de/kultur/architektur-und-utopie-tokio-ist-hoffnungslos-1.1241303-2, (Stand: 13.11.2014)

Weissmüller, Laura (2011): Gefangen in der Megafalle, Online unter:
http://www.sueddeutsche.de/kultur/japan-tokio-in-gefahr-die-megafalle-1.1073787, (Stand: 14.11.2014)

Zinecker, Barbara (o.J.): Ab in die Höhe: Schmales Haus in der Baulücke, http://www.bauen.de/ratgeber/hausbau/bauratgeber
/grundstueck/artikel/artikel/ab-in-die-hoehe-schmales-haus-in-der-bauluecke.html
, in:
http://www.bauen.de/ratgeber/hausbau/bauratgeber/grundstueck, (Stand: 13.11.2014)