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Parametrismus
Pia-Maria Lackner

1.
Parametrismus ist ein Wort, dass man im Duden nicht findet. In der heutigen Zeit ist eines der am heftigsten diskutierten Themen jenes der Nachhaltigkeit und vor allem des nachhaltigen Bauens. „Der Parametrismus ist seinen Prinzipien und Methoden nach kongenial in Bezug auf das Programm einer nachhaltigen Architektur.“1 Daher ist er ein bedeutendes Modewort der gegenwärtigen Zeit. Der Begriff wurde durch den Architekten Patrik Schumacher ins Leben gerufen und geprägt. Er beruht auf dem Wort Parameter. Parameter stammt aus dem Griechischen und setzt sich aus para = gegen, neben, bei und metro = Maß zusammen. Darunter zu verstehen ist einerseits eine charakteristische Größe und andererseits eine Einflussgröße, die von außen auf ein Objekt einwirkt.

2.
Das parametrische Entwerfen beruht auf dem System, dass alle Elemente einer Komposition durch Parameter festgelegt sind und so aufeinander reagieren können.
Es wird keine Linie von X nach Y gezogen, sondern es werden bestimmte Regeln festgesetzt und aufgrund derer wird die Linie erzeugt. In den Computer werden verschiedene Daten eingegeben und daraus wird dann zum Beispiel ein Gebäude generiert. Das parametrische Entwerfen beschreibt also die organisatorischen und formalen Möglichkeiten der digitalen Informationsaufbereitung; dadurch sind alle denkbaren Formen möglich. Durch die miteinander verknüpften Parameter führt jede einzelne Veränderung zu Veränderungen an anderen Stellen des Entwurfs. Alles hängt also von allem ab. Das parametrische Entwerfen gibt es schon in der Mathematik, bei der sämtliche geometrische Formen durch Parameter festgesetzt sind. Schon seit längerem wird es auch beim Schiffsbau und Maschinenbau verwendet. Die Idee des parametrischen Entwerfens in der Architektur kommt aus der Moderne. Auch das algorithmische Entwerfen beruht auf den gleichen Grundregeln. Hier werden architektonische Modelle anhand von Algorithmen erstellt. Das „Building Information Modeling“ hat denselben Ansatz. Es werden alle gebäuderelevanten Daten eingegeben und miteinander verbunden, daraus entsteht ein intelligentes 3D-Modell, um Projektentscheidungen leichter treffen zu können.

Der Parametrismus ist laut Schumacher der neue epochale Stil des 21. Jahrhunderts. Er beruht auf dem gleichen System wie das parametrische Entwerfen, geht aber noch weit darüber hinaus. Denn es gibt zwei Grundregeln, die zu beachten sind: Strenge geometrische Körper wie Rechteck, Dreieck und Kreis sind zu vermeiden, genauso wie die Wiederholung und Aneinanderreihung von unverbundenen Elementen. Und alle Formen sind parametrisch verformbar anzusehen; sie sind zu differenzieren, zu krümmen und in Verbindung zu setzen.2 Für Schumacher ist der Parametrismus eine Architektur, die aus weichen fließenden Formen besteht. Diese wird von ihm mit der organischen Architektur in Korrelation gesetzt. Der angebliche neue Baustil beruht also auf schon vorher dagewesenen architektonischen Entwurfsmethoden. Denn auch Erich Mendelsohn hatte mit seinem Einsteinturm eine ähnliche stilistische Absicht wie Patrick Schumacher, jedoch nicht die technischen Möglichkeiten.3 Liegt nicht hier schon der Ursprung des Parametrismus, der heutzutage nur durch die technischen Fortschritte weitergeführt und dadurch verbessert wird? Der beste Beweis dafür ist, dass auch Schumacher betont,

die Ästhetik des Parametrismus ist gekennzeichnet durch die Eleganz geordneter Komplexität und den Eindruck nahtloser Fluidität- Eigenschaften, die auch in natürlichen Systemen vorkommen.4

Schumacher will mit der Rechtfertigung in der Natur in den Green-Building-Diskurs einsteigen, der heute neben der Nachhaltigkeit eine große Rolle spielt.

3.
Die Non-Standard-Architektur, die durch den Parametrismus entsteht, ist auf jeden Fall ein Hingucker. Unternehmen, Städte und Staaten reißen sich um die ausgefallenen Entwürfe, da sie die breite Masse von Bauwerken überstrahlen.5 Diese Entwürfe sind kleine Attraktionen und ziehen somit ein breitgefächertes Publikum an sich. Sie erhöhen den Wiedererkennungswert von Orten und regen auch den Tourismus an. Sie basieren nicht mehr auf standardisierten Rastern, sondern auf komplexen und räumlich gekrümmten Strukturen, die für jeden Betrachter spektakulär sind. Nicht mehr der Architekt entwirft, sondern eine Maschine. Weil viele Büros gleiche Programme verwenden, entstehen sehr ähnliche Projekte. Mit der Produktion von ähnlichen Projekten könnte man einen neuen Stil definieren, doch der Widerspruch daran ist, dass Schumacher mit der Einzigartigkeit des Parametrismus wirbt. Somit ist alles unterschiedlich und doch gleich.

4.
Wie schon erwähnt, werden die Gebäude, um nachhaltige Architektur zu sein, hinsichtlich Zeit, Kosten und Qualität optimal geplant. Dadurch, dass die Wiederholung von Elementen verboten ist und somit jedes Element anders ist als das vorige, lässt sich über diese Aussage streiten – einfache Konstruktionen und Regeldetails waren gestern. Verschiedene gekrümmte Elemente machen den Ablauf auf der Baustelle zu einer Herausforderung. Doch nicht nur auf der Baustelle; jedes einzelne Fassadenelement muss extra geplant und gefertigt werden. Für solch außergewöhnliche Planungen wird oft die kundenindividuelle Massenproduktion herangezogen (Mass Customization, Abs. 9). Doch wird bei Projekten, die sich ohnehin auch Handfertigungen leisten können, wirklich der weltweite Trend des nachhaltigen und ökologischen Bauens beachtet?

5.
Der eigentliche Sinn des parametrischen Entwerfens liegt darin, dass durch die Eingabe der Parameter eine optimale Erscheinungsform entsteht. Die Architektur muss somit die Bedürfnisse von Bauherr und Nutzer befriedigen. Sie muss also performen (Performanz, Abs. 6). Wenn durch diese Eingabe schon die perfekte Form gegeben wird, warum muss es dann im Parametrismus noch Regeln geben, die die Form beeinflussen? Einerseits wird die Aufgabe des Architekten überflüssig, denn um Daten in den Computer einzugeben, braucht man kein Architekturstudium. Andererseits braucht man den Architekten doch, weil er die verschiedenen Regeln einhalten soll.
Ein ehemaliger Mitarbeiter des Architekturbüros Zaha Hadid, in dem Patrik Schumacher Partner ist, berichtet von einem Vorfall, bei dem ein halbes Jahr an einer Gebäudeform gearbeitet wurde, bis schlussendlich der leitende Architekt fragte, wie man eigentlich in das Gebäude hineinkommen solle 6. Durch die imposanten Gebäudeformen wird die eigentliche Funktion in den Hintergrund gedrängt. Es wird zu lange an einer Form getüftelt und somit bleibt kaum noch Zeit die grundsätzlichen Probleme zu bearbeiten. Auch hier fällt einem gleich der Widerspruch auf: Warum muss man über ein halbes Jahr lang an einer Form herum feilen, wenn sie vom Computer schon bestmöglich festgelegt worden ist? Jeder Architekt hat seinen eigenen Geschmack und seine eigenen Vorstellungen von einem Gebäude, somit wird im Nachhinein erst wieder die Form verändert. Die größte Frage, die sich hier stellt, ist, ob der Computer die optimale Form generiert und man durch die nachfolgenden Arbeiten diese wieder zerstört, oder ob der Computer es gar nicht schafft, die bestmögliche Form zu bilden und man erst durch die späteren Veränderungen immer näher an die Perfektion herankommt.

6.
Patrik Schumacher denkt bei seinem selbsternannten Stil, dem Parametrismus, in einigen Widersprüchen. Verschiedene Geschmäcker und Bedürfnisse beeinflussen die Form, genauso wie technische Funktionen und urbane Begebenheiten. Schlussendlich stellt sich die Frage: Gibt es überhaupt die optimale Form, um alle Faktoren zu berücksichtigen, oder muss man einige Abstriche machen?

1 … Schumacher 2011, 9.
2 … Vgl. Schumacher 2008, 107.
3 … Vgl. Rescher 2011
4 … Schumacher 2008, 106.
5 … Vgl. Rescher 2011
6 … Vgl. Rescher 2011

Literaturverzeichnis

Neitzke, Peter: Architektur von Zaha Hadid: Schwärme von treibenden Gebäuden, online unter: http://www.fr-online.de/architektur/architektur-von-zaha-hadid-schwaerme-von-treibenden-gebaeuden,1473352,2733280.html (Stand: 10.11.2014)

Rescher, Holger: Größenwahn im Büro Hadid, online unter: http://dabonline.de/2011/03/01/grosenwahn-im-buro-hadid/ (Stand: 10.11.2014)

Schumacher, Patrik: Parametrismus - Der neue International Style, in: Arch+ 195, 2009, S.106-113

Schumacher, Patrik: Interview geführt von Dietmar Danner in AIThesen 12, Stuttgart 2011, S. 9-10