Pop-up-Architektur
Anna Boxleitner

1.
„Einzelhandel für die Generation iPad: klein, unkompliziert, temporär. Pop-up-Stores sind eine sinnvolle, lukrative Zwischennutzung.“1 In Zeitungen und sozialen Netzwerken liest man immer öfter von sogenannten Pop-ups. Doch warum herrscht zurzeit dieser Hype um das Phänomen? Das Prinzip Pop-up ist simpel. Pop-ups tauchen plötzlich auf, erfüllen für eine kurze Zeit ihren Zweck und verschwinden danach sofort wieder. Durch ihr plötzliches Auftauchen erregen sie Aufmerksamkeit und ziehen das Publikum automatisch an.

2.
Eine genaue Definition für den Begriff Pop-up-Architektur gibt es nicht. „To pop up“ stammt aus dem Englischen und bedeutet „plötzlich auftauchen" und kommt aus der Computersprache. Ein Pop-up-Fenster erscheint und liefert gewünschte oder weniger gewollte Informationen. Dieses plötzliche Fenster zieht die Aufmerksamkeit auf sich. Genauso verhält es sich auch mit der sogenannten Pop-up-Architektur.2

3.
Ursprünge finden sich in den Utopien der 1960er Jahre. Einer der Vorläufer war die Architektengruppe „Archigram“. Die Frustration über die konservative Auffassung von Architektur veranlasste die Gruppe umzudenken, mit dem Ziel, neuartige Projekte zu entwickeln, mit denen sie bewusst Aufsehen erregen wollten. Ganze Städte sollten zu mobilen Megastrukturen ausgebaut werden und ihre Position ändern können, um auf Naturkatastrophen oder Ähnliches reagieren zu können. Gebäude sollten sich nicht mehr auf einen Standort beschränken.

4.
Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen ist in der heutigen Zeit vor allem für den Markt unumgänglich. Dass wir im Informationszeitalter leben, merken wir daran, dass man sich vor Informationen nicht mehr retten kann. Wir sind einem Schwall von Reizen ausgesetzt, die nur dazu da sind, unsere Aufmerksamkeit in Beschlag zu nehmen. Das Besondere an diesen Reizen ist, dass sie auf die Neugierde des Menschen ausgerichtet sind. Passiert also etwas Plötzliches oder Neues, wird unser Blick sofort darauf gerichtet. Dieses Phänomen macht sich die Pop-up-Architektur zu Nutzen. Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen steht im engen Zusammenhang mit der neoliberalen Motivation der Profitmaximierung: „Es geht mittelbar um die Aufmerksamkeit, direkt aber ums Geld“. Aufmerksamkeit kann nicht aufbewahrt werden. Sie existiert nur im Akt der Zuwendung und in der aktuellen Präsenz. Nur wer ständig das Interesse der Masse auf sich ziehen kann, bringt es zu Reichtum. Was Aufmerksamkeit mit Geld zu tun hat, ist relativ einfach. Um populär zu werden, ist es notwendig, das Publikum auf sich aufmerksam zu machen. Wer einen gewissen Bekanntheitsgrad erreicht, ist in aller Munde. Und wer in aller Munde ist, bleibt im Gedächtnis. Ein hoher Bekanntheitsgrad wirft von sich aus Einkommen ab. Wer ausreichend bekannt ist, erntet allein aufgrund dessen wiederum Aufmerksamkeit. 3

5.
Das Erregen der Aufmerksamkeit funktioniert äußerst gut mit den sogenannten Pop-up-Stores. Dies sind Einzelhandelsgeschäfte, die sich oft in einem heruntergekommenen, abgelegenen Gebäude befinden (Leerstandsaktivierung, Abs. 9). Der Reiz daran ist, dass Pop-up-Stores nur für einige Tage oder Wochen dort ihre Ware unter die Leute bringen. Die Werbung erfolgt über Mundpropaganda, wodurch kaum Kosten entstehen. Das Ziel ist, den Warenabsatz zu steigern. Übergangsweise leerstehende Verkaufsräume können preiswert angemietet werden. Der Pop-up-Verkauf dient primär dem schnellen und profitablen Verkauf der Waren, insbesondere für Saisonware, und natürlich auch der Imagepflege. Die Stores nutzen durch ihr plötzliches Auftauchen die Neugierde der Menschen, um einen möglichst hohen Profit zu erzielen (Parametrismus, Abs. 3).

6.
Temporäre Nutzungen spielen aufgrund des Platzmangels in den Städten eine äußerst wichtige Rolle (Third Space, Abs. 3). Pop-up-Bauten besitzen einen hohen Grad an Flexibilität. Das architektonische Experiment erlaubt es, durch das Temporäre räumliche Situationen in einem gewissen Maß zu testen. Die Menschen sind dabei Teil des Experimentes. Sie werden mit bestimmten Bauten oder Situationen konfrontiert. Ein konkretes Beispiel hierfür ist das deutsche Architekturbüro „Raumlabor“. Dieses entwickelte einen aufblasbaren Pavillon. Er ist im Handumdrehen aufgebaut und bietet Platz für diverse temporäre Veranstaltungen. Durch die einfache Montage wird Personal und dadurch auch Geld eingespart. Die Membran kann beliebig oft auf- und wieder abgebaut werden, was einen geringen Materialverbrauch zur Folge hat.4 Die Aspekte „Aufmerksamkeit“ und „Flexibilität“, welche die Pop-up-Architektur prägen, müssen jedoch getrennt betrachtet werden. Raumlabor grenzt sich von kommerziellen Pop-up-Bauten klar ab. Bei ihren Projekten wird nicht darauf abgezielt, die Aufmerksamkeit der Menschen auf sich zu ziehen. Es sollen lediglich temporäre Räume geschaffen werden. 5

7.
Der Bedarf an Räumen und Bauten an öffentlichen Orten ist beträchtlich. Sie werden jedoch oft nur für einen gewissen Anlass oder für eine gewisse Zeit benötigt. Warum aber ist es derart wichtig, flexibel zu sein? „Flexibilität“ bedeutet so viel wie „sich zu beugen“ oder „biegsam zu sein“. Flexibel zu sein heißt also, sich an seine Umwelt anpassen zu können oder auf sich ständig ändernde Bedingungen reagieren zu können.

8.
Der Soziologe Richard Sennett beschrieb in seinem Buch Der flexible Mensch wie ein hohes Maß an geforderter Flexibilität den Menschen stark beeinträchtigen kann. Er werde zunehmend von Angst, Hilflosigkeit, Instabilität und Verunsicherung beherrscht. In der heutigen Zeit ist es jedoch eine Notwendigkeit, flexibel zu sein. Der Job kann morgen schon gefährdet, die Firma, in der wir arbeiten, schon verkauft oder die Einnahmen, mit denen wir fest gerechnet haben, können ausfallen. 6

9.
Pop-up-Bauten vermögen leerstehende Gebäude oder gar ganze Stadtteile durch ihre Anziehungskraft und Attraktivität wiederzubeleben, da durch das Experiment mit einem Pop-up neue Nutzungsmöglichkeit erforscht werden können. Durch diesen Effekt können jedoch schwächere Gesellschaftsgruppen aus ihrem Umfeld verdrängt werden, um einem finanziell stärkerem Publikum Platz zu schaffen. Pop-ups können also möglicherweise den Prozess der Gentrifizierung zur Folge haben.

10.
Neben dem geringen Materialverbrauch ist ein weiteres Merkmal der Pop-up-Architektur ihre besondere Konstruktion. Diese erlaubt, das Gebäude in kurzer Zeit zu montieren beziehungsweise zu demontieren. Im Gegenteil zu Märkten oder Messen ist für Pop-up-Bauten im Stadtgefüge kein bestimmter Platz vorgesehen (Raumaneignung). Was sie jedoch gemeinsam haben, ist eine beschränkte Aufenthaltszeit und die Ansprache an ein gewisses Publikum.

11.
Pop-ups finden sich meist in Großstädten wieder, da dort neue Trends entstehen und es eine kulturelle und soziale Vielfalt gibt. Die Stadt fungiert hier als Schauplatz für das Pop–up. Die Aufmerksamkeit, die Attraktion und die Besucherströme werden zum Verkauf genutzt. Das Miteinbeziehen des städtischen Publikums spielt dabei eine wichtige Rolle. Materialien werden oftmals recycelt oder neu interpretiert. Ob dieses wesentliche Merkmal der Pop-up-Architektur wirklich angewendet wird, um Ressourcen zu schonen oder doch nur um Geld einzusparen, sei dahingestellt.

12.
Aus den gesammelten Erkenntnissen lässt sich schließen, dass die Pop-up-Architektur auf viele in der heutigen Zeit geforderten Bedürfnisse eingeht und auf vorhandene Probleme reagiert. Jedoch darf nicht außer Acht gelassen werden, dass dies meist aus dem Grund der Vermarktung geschieht.

1 ... Vgl. Novotny 2014.
2 ... Vgl. Pöllauer 2014, 7-9.
3 ... Vgl. Franck 1998,14-39.
4 ... Vgl. Grima 2009.
5 ... Vgl. Pöllauer 2014, 21-46.
6 ... Vgl. Sennett 1998, 39-42.

Literaturverzeichnis

Franck, Georg: Ökonomie der Aufmerksamkeit. Ein Entwurf, München 1998

Grima, Joseph (Mai 2009): The spacebuster in NYC, http://raumlabor.net/spacebuster/, in: www.raumlabor.net, 06.11.2014

Novotny, Maik (09.02.2014): Die Shoppingmall als Wanderzirkus, http://derstandard.at/1389859686518/Die-Shoppingmall-als-Wanderzirkus, in: www.derstandard.at, 06.11.2014

Pöllauer, Pia: Pop up. Temporäre Nutzungen im städtischen Raum, im Kontext zwischen kulturellen und ökonomischen Interessen, Dipl.-Arb., TUGraz 2014

Sennett, Richard: Der flexible Mensch. Die Kultur des neuen Kapitalismus, Berlin 1998