Leerstandsaktivierung
Nina Wolf
1.
Der Begriff Leerstandsaktivierung setzt sich aus den beiden Wörtern Leerstand und Aktivierung zusammen. Betrachtet man die beiden Begriffe unabhängig von einander, lösen sie unterschiedliche Assoziationen aus.
2.
Der Begriff der Leere ruft bei den meisten negative oder düstere Gedanken hervor. Beispiele wie leere Versprechungen, leere Hoffnungen oder leere Stunden zeigen, dass die Bedeutung von Leere in unserem alltäglichen Sprachgebrauch mit etwas Nutzlosem oder Wertlosem gleichgesetzt wird. Daher spricht der optimistisch eingestellte Mensch nicht von einem halbleeren, sondern von einem halbvollen Glas.1
3.
Der Begriff Leerstand ist nicht einheitlich definiert. In diesem Kontext versteht man unter Leerstand Räume oder Flächen, die über einen längeren Zeitraum, oft Jahre, ungenutzt sind. Ebenso wie der Begriff Leere wird auch der Begriff Leerstand als negativ empfunden, da mit einem leerstehenden Gebäude oder einer brachliegenden Fläche eine Vielzahl von Problemen assoziiert werden, wie ein schlechtes Image für die Umgebung, Vandalismus, Kriminalität, schlechte Versorgung und damit verbunden eine schlechte Lebensqualität, dunkle und heruntergekommene Gebäude, verfallende Bausubstanz, ineffiziente Flächennutzung und verlorene Mieteinnahmen. Diese Liste würde sich noch lange fortsetzen lassen.
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4.
Die Thematik des Leerstands und der Umgang mit diesem wurden bereits 1987 in dem Buch Neue Urbanität von Hartmut Häußermann und Walter Siebel angesprochen. Initiativen und Petitionen zur Öffnung des Leerstands, Plattformen wie der Leerstandmelder und die seit 2011 jährlich stattfindende Leerstandkonferenz zeigen, dass vor allem in den letzten Jahren das Thema und damit auch der Begriff an Bedeutung gewonnen haben.
5.
Es ist auch ein Trend dahingehend spürbar, dass versucht wird, dem problembehafteten Thema des Leerstands etwas Positives abzugewinnen. Wie auch Probleme nicht weiterhin als Probleme, sondern vielmehr als Herausforderungen und Chancen zur Weiterentwicklung bezeichnet werden, so soll auch der Leerstand als Raumressource, als Potential, welches es zu nutzen gilt, gesehen werden. So ist ebenfalls der Titel einer Studie, die von der Stadt Wien 2013 in Auftrag gegeben wurde, Perspektive Leerstand bezeichnend für diesen Wandel. „Denn ob man Leerstände als Zeichen des Verfalls oder als Möglichkeitsräume ansieht, ist eine Frage der Perspektive, eine soziale Konstruktion.“2
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6.
Diese Verwandlung vom Problem zur Chance, von der Verschwendung hin zur Ressource, wird durch die Beifügung des Begriffs Aktivierung weiter vorangetrieben. Im Gegensatz zu den Begriffen Leere und Leerstand wird die Aktivierung als etwas Positives wahrgenommen. Hermann Kocyba schreibt in seinem Essay Aktivierung, dass wir in einer Gesellschaft leben, die von einem Kult der Aktivität beherrscht ist. Genuss ist nur dann wohlverdient, wenn er das Ergebnis aktiver Anstrengung ist und selbst das Nachdenken wird als Aktivität verstanden, die man durch Techniken wie Brainstorming optimieren kann: „Dabei ist Aktivierung im Kern ein Vorgang, der immer schon voraussetzt, was er erst zu bewirken verspricht: Etwas, das noch nicht oder nicht mehr aktiv ist, das passiv ist, aber aktiv sein könnte, soll durch einen Anstoß von außen aktiv gemacht, in Aktionsbereitschaft versetzt, zur Aktivität befähigt werden.“3 Ein Raum, eine Fläche kann nicht selbst aktiv werden oder sich selbst aktivieren, es braucht dazu den Anstoß von außen, das Eingreifen der Menschen. Es ist der Mensch, der den Raum mit Leben füllt. (Raumaneignung, Abs. 2, 3)
7.
Gerne wird bei der Leerstandsaktivierung auch von der Einbeziehung aller Beteiligten gesprochen und auf die wichtige Rolle von Bürgerinitiativen hingewiesen. Was hier als gemeinschaftlicher Prozess dargestellt wird, kann auch in eine Instrumentalisierung der Bürger ausufern.4 In sogenannten schrumpfenden Städten oder von der Krise gebeutelten Regionen ist es oft der Fall, dass sich die staatlichen Akteure zurückziehen, die Verantwortung an die Bürger abgeben und von ihnen die Erarbeitung und Umsetzung von Lösungen ohne jede Gegenleistung erwarten.
8.
Nicht nur in schrumpfenden Städten kommt es zu Leerstand. Der Strukturwandel, der beispielsweise zur Schrumpfung zahlreicher ostdeutscher Städte führt, ist nur eine Ursache für Leerstand. Andere Regionen sind mit einer Umsiedlung der Industrie in kostengünstigere Standorte konfrontiert. Bei kleineren Städten oder Gemeinden am Land liegt das Problem mehr in einer Abwanderung der Bevölkerung in größere Städte. Innenstädte wiederum kämpfen mit einem Aussterben der Geschäftslokale, da sie durch die Ansammlung von Einkaufszentren am Stadtrand schlechter frequentiert sind. Da die Ursachen für Leerstand je nach regionalen Gegebenheiten vielseitig sind, sind auch die Antworten unterschiedlicher Natur. Die Lösungen können entweder mit einem Umbau oder Abriss verbunden sein, es kann aber auch langfristige oder temporäre Umnutzung bedeuten. (Ersatzneubau)
9.
In Großstädten mit einer kreativen und studentischen Szene wird oft auf das Konzept der temporären Nutzung von Räumen, der sogenannten Zwischennutzung, zurückgegriffen. Derartige temporäre Nutzungen sind beispielsweise Co-Workingspaces, Veranstaltungshallen, Gemeinschaftsgärten, Bars oder Geschäftslokale. Die Zwischennutzung hat sich auch mittlerweile als beliebtes Instrument der Stadtplanung bzw.
-entwicklung etabliert. Im ersten Moment ist sie wohl ein Gewinn für alle Beteiligten, aber in letzter Konsequenz gewinnen lediglich die Eigentümer durch höhere Mieteinnahmen und die Stadt, die sich durch das aufgebesserte Image selbst besser vermarkten kann. Das Streben nach Gewinnmaximierung und Effizienzsteigerung steht hier einem langfristigen, nicht gedeckten Raumbedarf von Bevölkerungsgruppen mit geringerem Kapital gegenüber. (Performanz, Abs. 1)
10.
Wie bereits erwähnt, wird die Nutzung von Leerstand oft von der Stadtpolitik gelenkt. Man spricht in diesem Zusammenhang auch gerne von der Revitalisierung der Stadt. Der zuvor leerstehende, passive Raum wird mit Leben gefüllt und somit wieder Teil des lebendigen Organismus Stadt. Wird die Leerstandsaktivierung jedoch nicht von der Stadt initiiert, sind es oft sogenannte Raumpioniere, die zur Wiederbelebung von Stadtteilen beitragen. Sie entdecken jene Orte wieder, die zuvor von anderen verlassen wurden und für die breite Masse keinerlei Qualität aufweisen. Doch auch hier kommt es oft zu dem zuvor beschriebenen Effekt der Aufwertung und der damit einhergehenden Vertreibung.
11.
In kleineren Städten hingegen wird versucht, mehr auf das soziale Geflecht aufzubauen und die Bindung an die Stadt zu stärken. In Österreich sind es Kleinstädte wie Enns, Grein oder Schärding, die auf diese Weise nach neuen Wegen der Stadtkernbelebung suchen.
12.
Bei all diesen Beispielen, in der Groß- oder Kleinstadt, spielt die Einbindung der Bürger eine zentrale Rolle. Es wird erwartet, dass sie sich aktiv an dem Prozess der Leerstandsaktivierung beteiligen. Nur wer aktiv wird, ist wirklich Teil der Gesellschaft.
13.
Diesen Drang zur Aktivität stellt Slavoj Žižek in Frage. Seiner Meinung nach erfordert es mehr Aufwand, nichts zu tun, als etwas zu tun; nicht die Passivität, sondern eben dieser Drang, aktiv zu sein, stellt die Bedrohung dar. Wenn man sich nun einen Moment Zeit nimmt, anstatt aktiv zu werden, könnte man sich auch die Frage stellen, warum die entstandene Leere überhaupt wieder gefüllt werden muss. Die Entstehung von Leerstand ist ein natürlicher Prozess, die dem Wachstum nachfolgt. Anstelle von Verdichtung, Maximierung und Steigerung könnten unsere Ziele doch auch Entdichtung, Verkleinerung und Entschleunigung lauten.
14.
„Das Wenigerwerden darf nicht allein auf irgendein Wegnehmen reduziert werden, vielmehr muss man das ‚Andere‘ herausfinden, das in dem ‚Weniger‘ steckt.“5
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Literaturverzeichnis
Dissmann, Christine: Die Gestaltung der Leere, Bielefeld 2010
Eder, Evelyn/Weber, Gerling: Kleinstädte – Neue Wege in der Stadt- und Ortskernbelebung, Wien 2013, Online unter: http://doku.cac.at/small-towns_buch-der-inspirationen_sept-2013_.pdf (Stand: 07.10.2014)
Häußermann Hartmut/Siebel Walter: Neue Urbanität, Frankfurt 1987
Kil, Wolfgang: Luxus der Leere, Wuppertal 2004
Kocyba, Hermann: Aktivierung, in: Bröckling, Ulrich/Krasmann, Susanne/Lemke, Thomas (Hg.): Glossar der Gegenwart, Frankfurt 2006, 17–21
Rettich, Stefan: The Non-Creative-Class, in: Ohmana, Manfred/Rolshoven, Johanna (Hg.): Reziproke Räume. Texte zu Kulturanthropologie und Architektur, Marburg 2013, 116–127
Willinger, Stephan: Leerstand als Möglichkeitsraum, in: Informationen zur Raumentwicklung, 6 (2005), 397–407, Online unter: http://www.bbsr.bund.de
/BBSR/DE/Veroeffentlichungen/IzR/2005/Downloads
/6Willinger.pdf?__blob=publicationFile&v=2 (Stand: 27.10.2014)
Žižek, Slavoj: Violence – Six Sideways Reflections, London 2009