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Performanz
Gabriela Kammerhofer

1.
Performanz ist ein Lieblingswort des Neoliberalismus, der gegenwärtig als Ideologie in alle Lebensbereiche eingreift. Performanz drückt Qualitäten aus, die auf technischer, organisatorischer, ökonomischer und soziokultureller Kompetenz und Leistungsfähigkeit sowohl eines einzelnen, als auch zum Beispiel einer Firma basieren. Menschen, Firmen, Produkte, Häuser oder auch virtuelle Werte wie Aktien weisen Performanz auf.

2.
Mit der Performanz parallel einherzugehen scheint der Begriff Performance, der aus dem Englischen kommt und „Darstellung, Aufführung, Verrichtung“1 bedeutet. Aber auch im Börsenwesen, in der Technik und der EDV findet dieser Begriff Verwendung – als Performance der BUWOG-Aktie, Performance eines Jaguar E-Type, Performance eines Intel-Prozessors und eines Rendering-Programms (Rendering, Abs. 2). Beim weiteren Nachschlagen im Lexikon finden wir eine linguistische Bedeutung: Performanz „ist die Bezeichnung für die Sprachverwendung, das Sprechen“,2 und eine psychologische Bedeutung: Performanz ist „die Leistung in Handlungstests“;3 das kann ein nonverbaler Intelligenztest sein oder auch das Erproben von Teamfähigkeit. Da der Begriff Performanz augenscheinlich komplex ist und in unterschiedlichen Wissenschaften angewendet wird, ist es den Versuch wert, Zusammenhänge herauszufinden und zu erklären. Oder bildlich ausgedrückt: Wie knüpfen wir diese Fäden zu einem lückenlosen Teppich unserer Gesellschaft, auf dem man uns tanzen lässt?

3.
Eine erste Verknüpfung ist die Macht von Sprechen und Gehen, Wirklichkeit zu produzieren. So entsteht eine neue gemachte Wirklichkeit neben alten gegebenen Wirklichkeiten. Nach dem englischen Sprachphilosophen John L. Austin tut eine sprachliche Äußerung etwas, sie ist performativ. Mit dem Sprechakt: „Ich erkläre euch hiermit zu Mann und Frau“ schafft der Standesbeamte eine neue Realität. Gleichbedeutend performativ ist die Macht des Gehens. Der französische Soziologe Michel de Certeau schreibt: „Der Akt des Gehens ist für das urbane System das, was die Äußerung (der Sprechakt) für die Sprache […] ist. … Die Spiele der Schritte […] weben die Grundstruktur von Orten. In diesem Sinne erzeugt die Motorik der Fußgänger eines jener realen Systeme, deren Existenz eigentlich den Stadtkern ausmacht […].“4 Das Promenieren, das Flanieren, das Umherschweifen dient der sinnlichen Wahrnehmung, dem Erforschen und Produzieren von Raum. Der Akt des Gehens ist also performativ (Urbane Begegnungszonen, Abs. 7-9).

4.
In einem zweiten Schritt verknüpfen wir die Produktion von Raum mit der öffentlichen Kunstperformance. In den 1970er Jahren taucht das Wort Performance als Kunstrichtung in den USA und Europa auf. Es bezeichnet die Technik, die Form, die Handlungsweise, um eine künstlerische Idee auszudrücken und wird im Theater, Tanz und Schauspiel angewendet.5 Künstler und Architekten dieser Zeit nutzen auch den öffentlichen Raum für Performances, um Kritik an der Gesellschaft zu üben, um zu provozieren. Das „Mobile Büro“ von Hans Hollein, aufgebaut 1969 am Flugfeld Aspern in Wien, war eine solche Architektur-Performance: ein aufgeblasener, zylindrischer Plastiksack mit Telefonanschluss. Diese Aktion von Hollein ist heute längst Alltagsrealität geworden, denn der Kreative arbeitet unterwegs, ist immer und überall erreichbar. Laptop, Smartphone und die Flexibilität des Arbeitenden ermöglichen dies. Mit der Idee des Schnittes zeigt Gordon Matta-Clark, der ebenfalls wie Hollein Architekt und Künstler war, die Endlichkeit von Gebäuden. Zum Abbruch freigegebene Häuser wurden von ihm seziert, aufgeschnitten und als temporäre Kunstwerke zur Schau gestellt. Diese Performance nennt Gordon Matta-Clark „Anarchitektur“. „Die Wortschöpfung dokumentiert den permanenten Widerstand des Künstlers gegen eine konservative Architektur, die dem Experiment kaum Raum gegeben hatte. Als ein Avantgardist hat Gordon Matta-Clark so aus seiner Kunst heraus den Weg für eine Architektur der Dekonstruktion vorbereitet.“6 Jede inszenierte Handlung mit Publikum ist eine Performance.

5.
War die künstlerische Performance in den 1960er und 1970er Jahren eine Kritik an der bürgerlichen, kapitalistischen Gesellschaft, so transformiert der Neoliberalismus in den 1980er Jahren diese Aktionen zu seinen Nutzen. Aus der Kritik am System wird ein Werkzeug des Systems, das sich gegen uns richtet, indem es kontrolliert und permanente Performanz fordert. Performanz wird mit zusätzlichen Bedeutungen belegt, wie Leistung, Messung, Vergleich. Sie wird eine ökonomische Instanz, der sich jeder einzelne, jedes Team, jede Firma unterwerfen muss. Jede Handlung wird auf ihre Wirkung und Darstellung, auf ihre Effektivität und Effizienz überprüft. So wird die Performanz zum Instrument des Neoliberalismus, denn nur das Messbare lässt sich steuern. Die theatralische Darstellung und die messbare Leistung verschmelzen zu einem Begriff. Damit ist die dritte und wichtigste Verknüpfung erklärt.

6.
Messbare Performanz wird nicht nur von Subjekten, sondern auch von Objekten gefordert. Dieser technische Konnex ergibt den vierten Knoten. Architektur, die nur funktioniert, ist passé, heute muss Architektur performen. „High-Performance-Architektur“7 erfüllt optimal die Bedürfnisse der Nutzer und des Bauherrn. Neben dem Passivhaus, das nicht mehr das Nonplusultra bezüglich Energie-Effizienz darstellt, steht seit Kurzem Werner Sobeks „Aktivhaus“, das mehr Energie produziert, als es verbraucht, in Stuttgart zu Forschungszwecken zur Verfügung. Der Überschuss an Strom wird dem Nachbarhaus, gebaut von Le Corbusier, in einer Geste der Schwesterlichkeit zur Verfügung gestellt, und auch der Elektro-Fuhrpark wird damit aufgeladen. Haustechnik, die auf die Gewohnheiten des Nutzers und auf Wetterprognosen reagiert, scheint selbstverständlich zu sein.8 Ebenso spannend wie die Energiebilanz ist der Schauplatz. Das Projekt ist in der Weißenhofsiedlung in Stuttgart beheimatet, wo die Star-Architekten der Moderne 1927 im Rahmen des Deutschen Werkbundes ihre neue Sicht des Bauens zeigten. Sobeks Performance nimmt das Prinzip des Zukunftsweisenden auf und führt es wirksam weiter. Hier beinhaltet Performanz Umweltverantwortung, technische Ästhetik und Leistungsfähigkeit. Während in der Moderne die reine Funktion im Vordergrund stand, entwickelt sich diese bei Sobek zur Performanz.

7.
Die fünfte und letzte Verknüpfung ist die nicht messbare soziokulturelle Performanz. Das Spielen und Improvisieren ist dem Menschen durch das Leistungsdenken abhandengekommen. Als disziplinierte Individuen und Leistungserfüller unserer industrialisierten Gesellschaft sind wir endlose Ressource sowohl für Produktion als auch für Konsumation. Die Kritik an unserem System der Ausbeutung birgt die Hoffnung für Veränderung hin zu einer lebenswerten Welt. Wir sind Teil der Räume, die uns umgeben, wir fordern Möglichkeiten für Spiel, Improvisation und für Aneignung von Raum. Architekten wie Lacaton & Vassal und viele kleine Architekten, die kaum den Weg in die Architekturtheorie finden, zeigen Wege einer soziokulturellen Performanz von Entwerfen, Bauen und Wohnen. Die Bedeutung von einer nach anderen Spielregeln gebauten Architektur liegt im partizipativen Prozess, im gemeinschaftlichen Erarbeiten, im basisdemokratischen Entscheiden. „Occupy Roofscape“, ein Projekt mit Studierenden der TU Graz, suchte für den Bau einer Dachlandschaft eines Gymnasiums nach Entwurfsideen mit einer „hohen architektonischen, sozialen und ökologischen Performanz“.9 Soziale Performanz ist hier ein Maß für den „soziale[n] Innovationscharakter“.10 Sozial steht für Inhalte und Methoden, steht für „nachhaltiges Miteinander“, „interkulturelle und generationenübergreifende Kommunikation“ und „Szenario in einer sozialen Praxis“11, d. h. Bürger, Nachbarn und Schüler engagieren sich zusammen für einen gemeinsam nutzbaren Raum. Der Ansatz – mit Anklängen an die antikapitalistische Occupy-Bewegung und an „Urban Gardening“ – klingt sehr holistisch, positiv und unverdächtig (Urban Gardening, Abs. 1).

8.
Die Erziehungswissenschaft kennt das Begriffspaar Kompetenz – Performanz mit der griffigen Quintessenz: „Man muss es nicht nur können, man muss es auch zeigen“.12 Die „Anonyme Architektur“13 zeigt, dass es seit Jahrtausenden Gebäude gibt, die funktionieren. Heute hingegen scheint es nicht zu genügen, dass der Architekt bauen kann, heute muss er sich und seine Leistung demonstrieren und präsentieren. Für diese Auftritte rollt der Neoliberalismus den schillernden roten Teppich aus.

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1 … Brockhaus Enzyklopädie 2006.
2 … http://de.wikipedia.org/wiki/Performanz_
(Linguistik)
, 08.11.2014.
3 … Brockhaus Enzyklopädie 2006.
4 … Zit. n. Wolfrum 2014.
5 … Vgl. Jappe 1993, 9.
6 … http://de.wikipedia.org/wiki/Gordon_Matta-Clark, 08.11.2014.
7 … Poerschke 2014, 243.
8 … Stuttgart Institute of Sustainability, B10.
9 … Eichholzer-Preis für Architektur 2013.
10 … Ebd.
11 … Ebd.
12 … Leisen, Koblenz 2010, 1.
13 … Rudofsky 1989.

Literaturverzeichnis


Brockhaus Enzyklopädie in 30 Bänden, Bd. 21, Leipzig–Mannheim 212006

Dell, Christopher: Replay City. Improvisation als urbane Praxis, Berlin 2011

Eichholzer Preis für Architektur 2013. Ergebnis des Studierendenwettbewerbs OCCUPY ROOFSCAPE, Online unter: http://www.gat.st/news/eichholzer-preis-fuer-architektur-2013-0 (Stand: 09.11.2014)

Eikels, Kai van: Die Kunst des Kollektiven. Performance zwischen Theater, Politik und Sozio-Ökonomie, München-Paderborn 2013

Jappe, Elisabeth: Performance. Ritual. Prozeß. Handbuch der Aktionskunst in Europa, München-New York 1993

Leisen, Josef: Kompetenzorientiert unterrichten mit dem Lehr-Lern-Modell, Manuskript, Koblenz 2010, Online unter: http://www.josefleisen.de/
uploads2/02%20Der%20Kompetenzfermenter
%20-%20Ein%20Lehr-Lern-Modell/1
%20Kompetenzorientiert%20unterrichten
%20mit%20dem%20Lehr-Lern-Modell.pdf

(Stand: 13.11.2014)

Poerschke, Ute: Funktionen und Formen. Architekturtheorie der Moderne (= Architekturen Band 18), Bielefeld 2014

Rudofsky, Bernard: Architektur ohne Architekten, Salzburg-Wien 1989

Stuttgart Institute of Sustainability (E-Lab Projekt): B10, http://www.aktivhaus-b10.de, (Stand: 26.10.2014)

Wolfrum, Sophie: Performativer Urbanismus, in: Buchert, Margitta (Hg.): Reflexives Entwerfen. Entwerfen und Forschen in der Architektur, Berlin 2014, S. 140ff., Online unter: http://www.stb.ar.tum.de/fileadmin/w00blf/.../
Performativer_Urbanismus.pdf (Stand: 5.11.2014)