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Nachhaltiges Bauen
Petra Bachner

1.
Plastikflasche oder Glasflasche – welche ist nachhaltiger beziehungsweise schont unsere Umwelt mehr? Die Antwort der meisten Menschen würde auf die Glasflasche fallen. Das sehen aber nicht alle so, denn bei Glasflaschen ist ein erhöhter CO2-Ausstoß durch das erhöhte Gewicht beziehungsweise auch durch das Zurückbringen zum Geschäft sowie den Transport zur Waschanlage mitzuberücksichtigen. Auch die Reinigungsmittel, welche für die Säuberung gebraucht werden, müssen in die Ökobilanz miteinberechnet werden. Ist es nach diesem Gedankengang noch immer völlig klar, dass Glasflaschen die nachhaltigere Variante darstellen?

2.
Das Thema Nachhaltigkeit ist heute omnipräsent, hat jedoch schon eine längere Historie aufzuweisen. Obwohl das Wort sehr aktuell klingt, wurde es bereits Anfang des 18. Jahrhunderts von Hans Carl von Carlowitz in ähnlicher Weise wie heute benutzt. Zu dieser Zeit beschränkte sich der Diskurs jedoch noch auf die Forstwirtschaft, da man befürchtete, dass es bald zu wenig Holz für den Betrieb von Schmelzöfen geben würde. Um auch der Industrie die Problematik vor Augen zu halten, leitete Carlowitz davon den Leitgedanken ab „von den Zinsen zu leben und nicht vom Kapital.“1

Das Wort Nachhaltigkeit findet sich im Jahr 1915 erstmals im Rechtschreibduden und wird als eine längere Zeit anhaltende Wirkung beschrieben. In unserer vom gesellschaftlichen Fortschritt getriebenen Welt wird ein Wort wie Nachhaltigkeit als eine starke Konstante gesehen. Dies wird mit den Wörtern nach, welches ausdrückt, dass dem genannten Zeitpunkt oder Vorgang etwas folgen wird, und dem Wort halten, welches Festigkeit und Stabilität mitschwingen lässt, beschrieben. Wenn diese zwei Wörter zusammengefügt werden, haben wir genau das Wort, welches etwas gegen die Ungewissheit der Zukunft bewirken kann: die sogenannte Nachhaltigkeit.

Im Jahr 1972 wurde die vom Club of Rome in Auftrag gegebene Studie über Die Grenzen des Wachstums veröffentlicht. Hier wird von einem Kollaps des Systems gewarnt, sollten die Begrenztheit der Ressourcen auf unserem Planeten nicht beachtet werden. Trotz der Benennung der Probleme, welche Politik, Wirtschaft und Gesellschaft betreffen, sind die dort gestellten Fragen, wie das radikale Wachstum der Menschheit und der Wirtschaft mit der damit zusammenhängenden Ressourcenknappheit vereinbar gemacht werden solle, auch heute noch unbeantwortet.

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Genauso unklar wird der Begriff Nachhaltigkeit im Brundtland-Bericht definiert. Dieser Report der Weltkommission für Umwelt und Entwicklung von 1987 formulierte, definierte und thematisierte mit dem klingenden Titel Unsere gemeinsame Zukunft ein Konzept für nachhaltige Entwicklung. Darin wurde Nachhaltigkeit so definiert:

Nachhaltige Entwicklung ist eine Entwicklung, die die Bedürfnisse der Gegenwart befriedigt, ohne die Bedürfnisbefriedigung zukünftiger Generationen zu gefährden.2



Nachhaltige Entwicklung ist eine Entwicklung, die die Bedürfnisse der Gegenwart befriedigt ohne die Bedürfnisbefriedigung zukünftiger
Generationen zu gefährden.


Nachhaltige Entwicklung ist eine Entwicklung, die die Bedürfnisse der Gegenwart gefährdet ohne die Bedürfnisbefriedigung zukünftiger
Generationen zu befriedigen.


Nachhaltige Entwicklung ist eine Entwicklung, die die Gefahren der Gegenwart befriedigt ohne die Bedürfnisse zukünftiger
Generationen zu gefährden.


Nachhaltige Entwicklung ist eine Entwicklung, die die Bedürfnisse der Zukunft gefährdet ohne die Bedürfnisbefriedigung der gegenwärtigen
Generationen zu befriedigen.


Nachhaltige Entwicklung ist eine Entwicklung, die die Bedürfnisse der Gegenwart befriedigt ohne die Bedürfnisbefriedigung der zukünftigen
Generationen zu gewährleisten.


Nachhaltige Entwicklung ist eine Gefährdung, die die Bedürfnisse der Gegenwart gefährdet ohne die Bedürfnisbefriedigung zukünftiger
Generationen zu gefährden.


Nachhaltige Entwicklung ist eine Gefährdung, die die Bedürfnisse der Gegenwart gefährdet ohne die Bedürfnisse der zukünftigen
Generationen zu befriedigen.


Nachhaltige Entwicklung ist eine Befriedigung, die die Bedürfnisse der Gegenwart befriedigt ohne die Bedürfnisbefriedigung zukünftiger
Generationen zu befriedigen.


Nachhaltige Entwicklung ist eine Befriedigung die die Befriedigung der Gegenwart befriedigt ohne die Befriedigung zukünftiger
Generationen zu befriedigen.


Gedanken–Synonyme

Bei dieser Definition findet sich folgendes Phänomen: Der Satz scheint so makellos zu sein, dass er den Anspruch stellt, von allen als positiv anerkannt zu werden. Betrachtet man diese Aussage jedoch etwas genauer, so lässt sich erkennen, dass er so unbestimmt ist, dass er auf fast alles angewendet werden kann und somit wiederum nichtssagend ist.

1996 erklärte Scott Campbell, Professor für Architektur und Stadtplanung in Michigan: „In the battle of big public ideas, sustainability has won: the task of the coming years is simply to work out the details, and to narrow the gap between its theory and practice.“3 Das, was in diesem Zitat so leicht klingt, ist aber die Schwierigkeit. Die Lücke zwischen Theorie und Praxis erweist sich bei genauerem Blick zur unüberwindbaren Schlucht und Details werden zu unlösbaren Fragen.

3.
Um verständlich zu machen, was damit gemeint ist, wenn behauptet wird, dass Nachhaltigkeit im Bereich des Bauens fast überall Anwendung findet, werden im Folgenden zwei Beispiele gegeben. In der Zeitschrift Mauerwerk wird über den Baustoff Ziegel folgendes geschrieben: „Ziegel, ein moderner sowie nachhaltiger Baustoff. Die in ausreichender Menge verfügbaren Rohstoffe werden oberflächlich sowie werksnah abgebaut. Ausgetonte Gruben werden rekultiviert und als Biotop oder landwirtschaftlich nutzbare Flächen der Natur zurückgegeben. Dank modernster Anlagetechniken erfolgt die Produktion Ressourcen schonend sowie umweltfreundlich. Der bei 1000°C gebrannte Ziegel ist frei von Giftstoffen und Ausdünstungen.“4
In der Zeitschrift Stahlbau hingegen beschreibt man den Werkstoff Stahl als besonders nachhaltig: „Der Werkstoff Stahl entspricht diesem ganzheitlichen Bilanzierungsansatz optimal. Er ist ohne Qualitätsverlust 100% recycle fähig und wird somit nicht verbraucht sondern immer wieder neu genutzt.“5
Beide Texte haben nicht Unrecht oder stellen unwahre Behauptungen auf, da sie (nur) die bekannten, nachhaltigen Seiten des Rohstoffes sichtbar machen. Das Problem liegt allerdings genau hier: An jedem Werkstoff kann etwas Nachhaltiges gefunden werden. Fast alles ist in irgendeiner Weise nachhaltig. Die nicht nachhaltigen Aspekte können allerdings recht einfach ausgelassen werden. So wird nicht erwähnt, dass das Brennen bei 1000°C beim Ziegel oder auch der Abbau von Erz für die Gewinnung des Stahls nicht gerade ressourcen- und umweltschonend sind. Das oben Angeführte beschreibt einen wichtigen Faktor, mit dem umgegangen werden muss: Nachhaltigkeit wird immer wieder als Werbemittel eingesetzt und Produkte werden teilweise trotz anderer Bekanntgabe nicht elementar verändert, sondern nur deren nachhaltige Aspekte hervorgehoben.

4.
Circa 30 Prozent des Energieverbrauchs und der Kohlendioxid-Emission haben ihren Ursprung im Bausektor. Der Sonderpreis für Nachhaltiges Bauen wird an Gebäude verliehen, die von der Planung bis zur Realisierung und im weiteren Betrieb grundsätzliche Aspekte der Nachhaltigkeit einhalten.6 Es werden unterschiedliche Standards, durch deren Einhaltung die Möglichkeit auf diesen Preis besteht, gesetzt, wie zum Beispiel: CO2-Verbrauch, Umweltverträglichkeit der Baumaterialien oder Energieeffizienz des Gebäudes. Diese Qualitätssicherung und deren Definition kann allerdings leider nur auf einen kleinen Teil angewendet werden. Ändern sich die Rahmenbedingungen, wie zum Beispiel ein Haus steht in Hanglage, dann müsste wieder eine neue Berechnung erfolgen. Dies geschieht leider meist nicht. Auch kann in Frage gestellt werden, ob wirklich alle Faktoren berücksichtigt wurden. Wenn nämlich die Energiebilanz bei Transportwegen, die Langlebigkeit der verwendeten Materialien oder deren Wiederverwertung näher betrachtet werden, dann kann das Ergebnis gleich ganz anders aussehen.

Daraus stellt sich aber auch die Frage, ob es überhaupt möglich ist, alle Faktoren zu beachten und deren Stellenwert in der Nachhaltigkeitsbilanz genau zu kalkulieren. Will man nicht gleich das ganze Haus zum Nachhaltigkeitsprojekt erklären und ist man auch nicht so angespornt den Nachhaltigkeitspreis zu bekommen, dann genügen oft schon so genannte Öko-Gadgets, um das Gewissen zu befriedigen. Hier zeigt sich wieder das Phänomen, dass durch verschiedene technische Mittel – wie zum Beispiel Solaranlagen, Fassadenbegrünungen, et cetera – versucht wird gegen die Ressourcenknappheit anzukämpfen. Trotz der breiten Palette an technischen Möglichkeiten, nachhaltiger zu bauen, wurde bisher allerdings noch keine allgemeine Nachhaltigkeitsstrategie formuliert, welche auch langfristig positive Änderungen herbeiführen könnte.
(Green Architecture, Abs. 2, 4, 6)

5.
Heutzutage wird seitens der Gesellschaft den Risiken der Umweltverschmutzung und deren Folgen immer mehr Aufmerksamkeit geschenkt, da man zum Beispiel mit der steigenden Anzahl von Wetterkapriolen die Auswirkungen schon am eigenen Leib mitbekommen kann. Der Allgemeinheit wird auch allmählich klar, dass dagegen etwas unternommen werden muss. Viele Menschen entscheiden sich, bewusster und nachhaltiger zu leben, um ihr Gewissen zu beruhigen, indem sie kleine Aktionen setzen, wie zum Beispiel das Achten auf korrekte Mülltrennung und das Einbauen von Energiesparlampen. Mit der Bewusstseinsveränderung und kleinen Eingriffen in das alltägliche Leben ist es nicht getan. Auch nicht, wenn man glaubt, dass durch technischen Fortschritt die Probleme gelöst werden können, ohne dass große Umstellungen des persönlichen Alltags erforderlich wären.
Ist es besser, gänzlich unnachhaltig zu leben? Es sollte ein wünschenswertes Ziel eines jeden sein, Bemühungen in Richtung Nachhaltigkeit zu unternehmen. Auch der Tropfen auf den heißen Stein wird dabei helfen, den Stein abzukühlen. Jedoch muss uns allen auch bewusst sein, dass es nicht genug ist, nur kleine Schritte zu setzen, sondern nur gemeinsam mit langfristigen und großen Maßnahmen ein Umschwung erzielt werden kann.

6.
Von den Zinsen zu leben und nicht vom Kapital. Die Frage, die sich stellt, ist, ob mit dieser Grundbotschaft des schon knapp 300 Jahre alten Leitgedankens auch heute noch diese große und nötige Veränderung erzielt werden kann. Wäre es nicht vielleicht wichtiger, uns von der Vorstellung zu lösen, dass wir durch technische Erneuerungen uns unseren Planeten untertan machen und somit das Umweltproblem umgehen können?
(Energieausweis, Abs. 3 / Green Architecture, Abs. 12)

1 … Vgl. http://nachhaltigkeit.info/artikel/
hans_carl_von_carlowitz_1713_1393.htm

2 … Vgl. Hauff 1987.
3 … Vgl. Campell 1996, 296–312.
4 … Vgl. Mauerwerk 2005, 277.
5 … Vgl. Stahlbau 2011, 701.
6 … Vgl. Mauerwerk 2013, 76.

Literaturverzeichnis


Bauer, Michael/Mösle, Peter/Schwarz, Michael (Hg.): Green Building. Leitfaden für nachhaltiges Bauen, Stuttgart 2013

Campell, Scott: Green cities, growing cities, just cities. Urban planning and the contradictions of sustainable development. Journal oft he American Planning Association, Michigan 1996

Cesba.eu
http://wiki.cesba.eu (Stand: 27.01.2014)

Guy, Simon/Moore, Steven (Hg.): Sustainable Architectures. Cultures and Natures in Europe and North America, New York 2005

Hauff, Volker (Hg.): Der Brundtland-Bericht der Weltkommission für Umwelt und Entwicklung, Greven 1987, Unsere gemeinsame Zukunft

Krueger, Rob/Gibbs, David (Hg.): The sustainable development – paradox. Urban political economy in the United States and Europe, New York 2008

Mauerwerk 9(2005), H.6

Mauerwerk 17(2013), H.2

Nachhaltigkeit.info
http://nachhaltigkeit.info (Stand: 27.01.2014)

Stahlbau 80 (2011)