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Vertical Public Space
Tanya Zlateva
1.
Wenn wir uns in einer fremden Stadt befinden, suchen wir immer zuerst nach einem Ort, um einen möglichst vielfältigen Blick auf die Stadt zu erlangen. Der Wunsch eines Rundumblickes ist jedem bekannt. Der höchste Aussichtspunkt ist am attraktivsten, da er am meisten zu bieten hat. Städte wie New York und Oslo verfügen deswegen über so genannte Vertical Public Spaces, welche als Touristenmagnete gelten. Diese Plattformen dienen nicht nur zur Stadtbesichtigung, sondern sind auch im Alltag sehr wichtig.
2.
Höhe bedeutet Exklusivität und vermittelt Macht und Kontrolle. Das Streben nach oben spiegelt sich in der Aufteilung von Bürogebäuden sehr deutlich. Je höher die Etage, desto höher auch die Position der Mitarbeiter.
3.
Die Idee des Vertical Public Space ist keine Neue, da diese schon in den 20er Jahren von Ludwig Hilberseimer und Le Corbusier aufgegriffen wurde. Der Begriff hat noch keine klare Definition erhalten. Die Idee dahinter ist, die Stadt dreidimensional zu betrachten und vertikal zu verdichten, in dem man den Grundriss nach oben faltet. Ein neuer Layer multifunktionaler Fassaden- und Dachlandschaften wird in Verbindung mit Gebäuden und öffentlichen Flächen gesetzt1
(Nachverdichtung, Abs. 8).
4.
Um den Begriff Vertical Public Space besser zu verstehen, muss man zu den Wurzeln zurückkehren und sich mit dem öffentlichen Raum beschäftigen. Die Bezeichnung öffentlicher Raum wird oft als Synonym für öffentliche Fläche verwendet. Darunter wäre ein allgemein zugängliches Gebiet zu verstehen.2 Laut Andreas Feldtkeller sollte aber zwischen öffentlichem Raum und öffentlichen Flächen unterschieden werden. Bei Ihm handelt es sich dann um einen öffentlichen Raum, wenn dort öffentlich pluralistisches Publikum3 entstehen kann
(Third Space, Abs. 6).
5.
Wenn man von einem vertikalen öffentlichen Raum spricht, spricht man eigentlich von einem öffentlichen Raum, der über die Exklusivität der Höhe verfügt, welche ihn auch zu einem Modebegriff macht. Daraus lässt sich schließen, dass diese Vertical Public Spaces den gleichen Gesetzen und Problematiken unterliegen wie der öffentliche Raum. Eine davon ist die Privatisierung. Viele Public Spaces simulieren nur Ihre Öffentlichkeit
(Third Space, Abs. 5).
6.
Durch die Privatisierung städtischer Teilflächen kann unerwünschten Personen relativ einfach und öfters mit nur einem nicht zutreffenden Kriterium der Zugang verweigert werden. Durch solche Privatisierungen entstehen spezielle Raumtypen wie Einkaufszentren, Themenparks und moderne Bahnhöfe. An solchen Orten und Räumen ist in erster Linie Konsum Voraussetzung für das Aufenthaltsrecht.4
7.
Eines der prominentesten Beispiele für die Vertical Public Spaces ist die High Line in Manhattan. Die New Yorker stillgelegte Hochbahntrasse, die 2009 zum Park umfunktioniert wurde, grünt und blüht. Eine 2,5 Kilometer lange ungewöhnliche Grünanlage, gesäumt von Bänken und Wegen, die entlang der alten Strecke führen, liegt neun Meter über der Erde. Eigentlich war der Abriss der Trasse schon geplant, aber Joshua David und Robert Hammond, zwei Nachbarn, die sich während eines Gemeindetreffen kennenlernten, hatten die Idee, den Raum neu zu gestalten. Heute ist die High Line schon längst zu einer der Touristenattraktionen mit dem höchsten Wiedererkennungswert geworden.5
8.
Also ist die attraktiv umgestaltete New Yorker „High Line“ der Privatisierung entkommen? Eine Frage, die zuerst eindeutig mit „Ja“ beantwortet werden könnte, aber bei genauer Betrachtung der Entwicklung des Viertels wird es klar, dass der vertikale öffentliche Raum zwar noch nicht privatisiert wurde, es aber zu einer Gentrifizierung der Umgebung kam.
9.
Durch das große Interesse an der revitalisierten Hochbahntrasse haben sich Vierteln, welche bislang zu den ärmsten zählten, zu exklusiven Stadtteilen der New Yorker Szene entwickelt. Es werden neue Wolkenkratzer, teure Restaurants und Luxus-Wohnblocks gebaut. Die Mieten sind rasant gestiegen und für einige der Bewohner ist das Leben in diesem Viertel unbezahlbar geworden.6 Diese Veränderungsmassnahmen deuten darauf hin, dass es in späterer Folge auch dazu führen könnte, dass die New Yorker High Line privatisiert werden könnte und somit der Zugang beschränkt wird.
10.
Ein wichtiges Kriterium für den öffentlichen Raum genauso wie für den vertikalen öffentlichen Raum ist die freie und gute Zugänglichkeit für alle Personen. Ein gutes Beispiel dafür ist das von dem norwegischen Büro Snøhetta entworfene Opernhaus in Oslo. Im Jahr 2000 wurde der internationale Wettbewerb für das Opernhaus in Oslo, in Auftrag vom Ministerium für Kirche und Kultur sowie von der Statsbygg, der staatlichen Immobiliengesellschaft Norwegens, ausgeschrieben. Das zwanzigtausend Quadratmeter, vollständig betretbare Marmordach, hatte schon während der Bauphase im Jahre 2007 zwanzigtausend Besucher.7
11.
Doch ist diese freie Zugänglichkeit wirklich für alle gedacht? Im einem Interview wird das hinterfragt:
…wenn man wissen will, ob sich der Architekt schon auf die Skateboarder freut, die während der Aufführung über das Dach rumpeln werden, […] dann reagiert Tarald Lundevall von Snøhetta regelrecht dünnlippig: Dann müsse die Oper eben Verbotsschilder aufstellen. Sein Technikfachmann erklärt immerhin, dass es den Skateboardern dadurch unbequem gemacht werden sollte, dass der Marmor größtenteils nicht poliert, sondern grob behauen ist. So viel zur pragmatischen Funktion der michelangeloesken Nonfinito-Oberfläche.8
12.
Durch die Aussage des Architekten Lundevall wird klar, dass es doch zu einer Raumaneignung des vertikalen öffentlichen Raumes kommt. Schon beim Bau des Daches wurde durch die Materialwahl eine Barriere für ein bestimmtes Publikum geschaffen. Es wird sofort klar, dass es zu einer Privatisierung kommen wird. Dem „nicht erwünschten“ Publikum, den Skatern, wird in späterer Folge durch das Aufstellen von Verbotsschildern der Zutritt verweigert oder erschwert.
13.
Der Vertical Public Spase ist ein exklusiver öffentlicher Raum, der aber der Privatisierung nicht entkommen kann. Anhand der obengenannten Beispiele wurde diese Problematik sehr deutlich gemacht. Dieser Modebegriff zeichnet sich aber durch seinen privilegierten Ausblick aus, den jeder genießen möchte - ob er jedem gewährt ist, ist eine andere Frage
(Raumaneignung, Abs. 1).
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Literaturverzeichnis
Domsdorf, Clemens: Neue Oper für Oslo, (14.04.2008) http://www.artmagazin.de/architektur/5607/nationaloper_oslo_norwegen, in: http://www.art-magazin.de, Stand 2.12.2014
Feldtkeller, Andreas: Die zweckentfremdete Stadt. Wider die Zerstörung des öffentlichen Raums, Frankfurt am Main-New York 1994
Lynch, Kevin: Das Bild der Stadt, Bauwelt Fundamente, Bd.16, Basel-Gütersloh-Berlin 2010
Horsten, Christina: High Line in Manhattan: New York feiert seine grüne Ader (22.09.2014), http://www.spiegel.de/reise/aktuell/high-line-in-new-york-dritter-teil-des-parks-auf-gleisen-eroeffnet-a-993011.html, in: http://www.spiegel.de, Stand 10.11.2014
Horsten, Christina: Einzigartiger Park: Die High Line in New York ist nun komplett (22.09.2014), http://www.welt.de/reise/staedtereisen/article132501314/Die-High-Line-in-New-York-ist-nun-komplett.html, in: http://www.welt.de/, Stand 2.12.2014
Richter, Peter: Das neue Opernhaus Oslo. Unter den Marmorklippen (15.03.2008), http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/das-neue-opernhaus-in-oslo-unter-den-marmorklippen-1515096.html, in: http://www.faz.net/, Stand 2.12.2014
Wallraff, Michael: Vertikaler öffentlicher Raum/ Vertical Public Space, Wien 2011
Wurm, Markus: Der Beitrag des öffentlichen Raums zum Intergrationsprozess von Zugewanderten am Beispiel von drei Wiener Stadtvierteln, Diss., Graz 2012
Wojciech, Czaja: Oper für alle (12.4.2008), http://www.nextroom.at/building.php?id=508, Stand 2.12.2014